Die Lederwerke AG

Die Neu-Isenburger Leder Aktiengesellschaft gehörte zu den 1868 gegründeten Marcus Blaut Lederfabriken, einem Unternehmen mit Geschäftssitz in Frankfurt am Main und weiteren Zweigbetrieben in Elmshorn und Neckargemünd. Das Hauptgebäude mit dem markanten Doppelschornstein über dem Torbogen, direkt an der heutigen Schleussnerstraße gelegen, prägte über viele Jahr die westliche Einfahrt in die Hugenottenstadt. In dem Werk wurden ab den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts Schuh- und Stiefelleder hergestellt, deren Verarbeitung durch Grubengerbung mit Eichenlohe erfolgte. Die großen Hallen beherbergten die für diesen Prozess benötigten Gruben, in denen das Leder teils über Monate lagerte. Einen beispielhaften Überblick darüber, wie es in den Hallen ausgesehen haben mag, bietet diese Seite: Lederfabrik Hammann.

Foto: Blaut Verwaltungs GmbH, Sammlung B. Groh

Für die An- und Ablieferung verfügte der Betrieb über einen eigenen Gleisanschluss an die kurze Verbindungsbahn zwischen den Stationen Neu Isenburg (Main-Neckar-Bahnhof) und Neu Isenburg Stadt. Der Gleisanschluss in der Schleussnerstraße 98 wurde im Jahr 1913 von der Firma Leopold M. Kaufmann, einem Vorgängerunternehmen der Leder AG, angelegt und verfügte anfangs über eine Waggondrehscheibe, mit der die Wagen auf zwei im rechten Winkel zueinander angelegte Ladegleise umgesetzt werden konnten. Zu den angelieferten Rohstoffen zählten Felle und Häute, die in offenen Güterwaggons transportiert wurden.

Das nachfolgende Luftbild zeigt in der Bildmitte die Leder AG im Jahr 1958. Ganz Links ist das Streckengleis zum Bahnhofsteil Neu Isenburg Stadt zu sehen, etwas weiter im Hintergrund die Peter Fischer & Co AG, eine Firma für Stahlrohrbau (ebenfalls mit eigenem Anschluss). Im Bildvordergrund sieht man das Gelände des Köhlerschen Sägewerks, welches Teil der Möbelfabrik Oestreich, dem Hersteller der "Köhler Küche", war.

Foto: Foto Blaut Verwaltungs GmbH, Sammlung B. Groh

Im rechten Bildvordergrund sieht man übrigens Teile einer Feldbahn, auf der nachfolgenden Vergrößerung sind unter anderem vier Dampflokomotiven zu erkennen. Diese stehen auf dem Lagerplatz der Firma Lenz Bau AG, Zweigniederlassung Frankfurt, die ebenfalls über einen allerdings normalspurigen Gleisanschluss verfügte. Interessant ist nebenbei, dass die Philipp Holzmann AG in Neu-Isenburg auf ihrem großen Gelände an der Gehespitze westlich der Main-Neckar-Bahn ebenfalls über eine Feldbahn mit ganz ähnlichen Lokomotiven verfügte. Jedoch war diese zum Zeitpunkt der hier gezeigten Aufnahme noch im Einsatz, so dass es sich eigentlich nicht um die selben Maschinen handeln kann.

Etwa zehn Jahre später erfolgte die Schließung der Lederwerke, die Gerbgruben wurden verfüllt und zumindest der zur Straße weisende Teil der Gebäude für eine weitere Nutzung renoviert. Diese dienten dann zunächst als Lager diverser Speditionen, welche noch bis in die frühen 80er Jahre für eine wenn auch unregelmäßige und spärliche Bedienung mit Waggons sorgten. Neben der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein und der schon genannten Philipp Holzmann AG war es einer der zuletzt vorhandenen und genutzten Gleisanschlüsse in Neu-Isenburg. Aus diesem Zeitraum stammen die nächsten beiden Aufnahmen, sowie der entsprechende Gleisplan. Die Waggondrehscheibe wurde bereits in den frühen 60er Jahren ausgebaut und durch zwei Weichen ersetzt.

Nachdem zuletzt nur noch ein Getränkehandel die Hallen nutzte wurden die Gebäude 2003 nach Leerstand abgerissen und das Gelände neu bebaut. Während im hinteren, südlichen Teil die benachbarte Firma Jost ihr Werk erweitern konnte befindet sich zur Seite Schleussnerstraße heute ein Autohaus. Die Anschlussweiche hat bis bis zuletzt überlebt, allerdings ist der Gleiskörper selbst bereits nicht mehr mit dem Schienennetz der Deutschen Bahn verbunden. Jedoch wird die Trasse nach wie vor für eine eventuelle Realisierung der Regionaltangente West von der Stadt Neu-Isenburg freigehalten.


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