Foto: Andreas Christopher

BfB Verwertungsstelle

Die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, kurz BfB, war eine dem Bundesministerium für Finanzen unterstellte Oberbehörde, die ihren Ursprung in den letzten Tagen des Ersten Weltkriegs hatte. Am 26. Juni 1918 unterzeichnete Kaiser Wilhelm II. das erste Branntweinmonopolgesetz, welches die Grundlage für den Einkauf, die Verarbeitung und den Handel von Branntwein schuf. Eine Neufassung verbunden mit der Einrichtung der damals noch als Reichsmonopolverwaltung firmierenden Behörde erfolgte dann im April 1922, welche für knapp 30 Jahre Gültigkeit besitzen sollte. Bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es im Deutschen Kaiserreich Bestrebungen die je nach Land unterschiedliche Besteuerung von Branntwein im Rahmen eines staatlichen Monopols zu vereinheitlichen. Neben der Absicht die Einnahmen aus der Branntweinsteuer weiter zu steigern spielten hierbei auch eine erhoffte Lenkungswirkung im Agrarbereich sowie gesundheitspolitische Bedenken eine Rolle.

Der Sitz der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein in Offenbach am Main, Januar 2015 - Foto: Benedikt Groh

Zu den Aufgaben der BfB gehörte der Ankauf, die Verarbeitung (Reinigung) sowie der Vertrieb von Agraralkohol (Ethylalkohol), der aus verschiedenen Grundstoffen wie Kartoffeln, Zuckerrüben oder Getreide gewonnen wird. Abnehmer waren u.a. die Lebensmittel- und Kosmetikindustrie. Die kaufmännischen Aufgaben der Behörde wurden durch die angehörigen Verwertungsstellen abgewickelt, die zu diesem Zweck im gesamten Reichs- und späteren Bundesgebiet entstanden sind. So unterhielt die BfB im Jahr 2002 neben der Hauptverwaltung in Offenbach lokale Betriebe in:

Berlin Reinickendorf Holzminden (Lager) Neu-Isenburg
Berlin Tempelhof Leipzig Nürnberg
Düsseldorf Lutherstadt Wittenberge Regensburg
Hamburg München  

 

Der An- und Abtransport des Alkohols und der verschiedenen Endprodukte erfolgte in der Regel auf der Schiene in Kesselwagen, die einzelnen Bett.riebsstätten verfügten hierfür über eigene Gleisanschlüsse. Die ursprünglich in Berlin beheimatete Behörde zog 1953/1954 nach Offenbach am Main, wo die Stadt ein geeignetes Grundstück zum Neubau der Verwaltungszentrale anbieten konnte. Das von Stadtbaudirektor Adolf Bayer entworfene Gebäude am Friedrichsring verfügt über ein imposantes, viergeschossiges Vestibül und steht heute unter Denkmalschutz. Wegen seiner von Hans Leistikow aus Kathedralglas geschaffenen Frontseite wurde es vom Volksmund schnell als "Schnapspalast" getauft.

Anfänge in Neu-Isenburg

Auf der Suche nach einem geeigneten Standort für den Ankauf des in Hessen und Rheinland-Pfalz produzierten Agraralkohol fiel die Wahl auf das südlich von Frankfurt gelegene Neu-Isenburg. Die Stadt im Rhein-Main-Gebiet war verkehrsgünstig gelegen und durch die vom Main-Neckar-Bahnhof herführende, knapp zwanzig Jahre zuvor eröffnete Güterstrecke in das Stadtgebiet gut erschlossen. Daher entschloss man sich 1921 das südlich der Güterstation gelegene Betriebsareal der Fleisch- und Wurstwarenfabrik Wilhelm Luft für die Nutzung als Verwertungsstelle zu pachten (der noch heute existierende Hersteller der bekannten Frankfurter Würstchen hat seinen Firmensitz inzwischen im hessischen Lich). Seitdem gehörte die BfB Verwertungsstelle in Neu-Isenburg zu den ältesten und am längsten ansässigen Betrieben der Hugenottenstadt. Die Backsteinfront des ehemaligen Verwaltunsgebäudes prägt bis heute das Stadtbild und soll auch im Rahmen einer neuen Nutzung erhalten bleiben.

 Nordfassade zur Schleussnerstraße

Um einen Überblick der Lage zu geben ist das knapp 30.000m2 große Betriebsgelände sowie der dazu gehörige Gleisanschluss zum Güterbahnhof Neu Isenburg Stadt in der folgenden Luftaufnahme von 1978 farblich hervorgehoben. Neben dem Werksgelände ist am oberen Bildende der Güterbahnhof Neu Isenburg (Stadt) mit seiner Gleisharfe und dem Bahnübergang an der Hugenottenallee gut zu erkennen. Die vielen G-Wagen lassen zudem auf ein damals noch recht erhebliches Stückgutaufkommen schließen. Westlich vom vom Werk findet sich eine Mischbebauung mit Wohnhäusern und Garagen, auf der anderen Seite sieht man den bereits stillgelegten Gleisanschluss der Firma Bleier & Voss sowie das umfangreiche Agfa-Gelände.

BfB Verwertungsstelle Neu-Isenburg, 1978 - Luftaufnahme: Hessisches Luftbildarchiv

Luftaufnahme (Ansichtkarte)

Luftaufnahme (Ansichtskarte), ca 1985 - Stadtarchiv Neu-Isenburg

Verarbeitung und Produkte

Durch das Branntweinmonopolgesetz waren die Verwertungsstellen einziger Abnehmer des in Deutschland produzierten Agraralkohols. Hersteller sind neben gewerblichen Großbrennereien rund 20000 kleinere Abfindungsbrennereien, welche den Branntwein mit einem durchschnittlichen Alkoholanteil von 85% anlieferten. Dieser wurde anschließend dem weithin sichtbaren Herzstück der Verwertungsstelle in Neu-Isenburg, der zentrale Destillationsanlage zugeführt. Hier wurden in einem komplexen thermischen Prozess dem angelieferten Branntwein Wasser (in Form von Wasserdampf) und Fuselöle entzogen. Letzere wurden als ein Nebenprodukt vergällt und

Der Vorgang erstreckte sich über bis zu 60 Ebenen bis ein Reinheitsgrad von 94,6% erreicht wurde.

Der so entwässerte Neutralalkohol fand vielseitige Verwendung in der Industrie, zum Beispiel als Grundrohstoff für Lebensmittel oder Kosmetik. Desweiteren konnte der Alkohol absolutiert werden, also auf einen Reinheitsgrad von 100% destilliert werden, der in dieser Form als wichtiger Rohstoff an die pharmazeutische Industrie abgegeben wurde.

Die Werkbahn

Im Gegensatz zu anderen Anliegern der Verbindungsbahn in Neu-Isenburg, deren Gleisanschlüsse von der Bundesbahn bedient wurden, verfügte die BfB Verwertungsstelle über eine eigene Werkbahn. Bis 2003 besteht diese aus der Übergabestelle im südlichen Güterbahnhofsgelände mit den beiden Zustell- und Abholgleisen sowie den beiden daran anschließenden Drehscheiben. Von diesen führen wiederum drei Gleise in das Werksgelände und queren dabei die Schleussnerstraße, außerdem gehen von der östlichen der beiden Scheiben noch zwei weitere kurze Stumpfgleise ab.

Gleisanschluss BfB Verwertungsstelle

Im Werkinneren werden alle Gleis im Südosten des Geländes an einer weiteren Drehscheibe zusammengeführt, außerdem befindet sich hier ein zusätzliches Stumpfgleis mit einer Kleinlokgarage und Tankstelle. Fünf Weichen und eine zweigleisige Abstellgruppe erlauben ein umfangreiches Rangieren der BfB-eigenen Kesselwagen, die so an die verschieden Abfüllstationen gebracht und anschließend zur Abholung bereit gestellt werden können.

Alle Kesselwagen der Monopolverwaltung sind im Bahnhof Neu-Isenburg Stadt beheimatet, für das Rangieren verfügt die Verwertungsstelle über eine eigene Lok:

Herrsteller O&K Nr. 26730

Typ MB 170 N

Bauart B-dh

Baujahr 1972

Quelle: www.rangierdiesel.de

Anfang der 80er Jahre werden die beiden holzgedeckten Drehscheiben im Bahnhofsgelände erneuert und dabei deren ursprünglicher Durchmesser von 8 auf 10 bei der westlichen bzw. 12 Meter bei der östlichen Drehscheibe erweitert. Als Folge lassen sich nun auch Waggons mit einem größeren Radstand wenden. Da der Durchmesser aber nach wie vor zu klein ist um von Lok und Waggon gemeinsam befahren zu werden ist für das Umsetzten weiterhin ein komplexes Rangiermanöver notwendig. Die nachfolgende Beschreibung des Vorgangs ist dem Buch "Eisenbahnen im Rhein-Main-Gebiet", Freiburg 1983 von A. Christopher und G. Köhler entnommen:

"Soll ein Waggon aus dem Werk auf das Ausgangsgleis gebracht werden, zieht ihn die Werkslok - gesichert durch Rangierer mit roten Fahnen - bis auf die Straße vor der Drehscheibe, kuppelt ab und fährt selbst darauf. Nach dem Drehen der Scheibe wird an Lok und Wagen ein Stahlseil befestigt und um den Poller gelegt. Die Lok fährt ein kleines Stück auf eines der beiden Stumpfgleise und zieht dabei den Wagen auf die Drehscheibe, wo er mit Hilfe eines Hemmschuhs angehalten wird. Das alles dauert kaum eine Minute. Nach dem Drehen der Scheibe drückt die Lok schließlich den Wagen ins Gleis zu den anderen abgehenden Waggons, außer Kesselwagen angemietete gedeckte Schiebewandwagen."

Heutiger Zustand

Nach der Einstellung des Bahnbetriebs Ende 2003 wurde die nun nicht mehr benötigte Werkslok verkauft und mit einem Tiefladewaggon (Bauart Uais 200) abtransportiert. Die im Bereich des Güterbahnhofs gelegenen Gleise und Anlagen wurden im Zuge der Umwidmung des Areals


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